Conrad Steinmann
Nachklänge. Instrumente der griechischen Klassik und ihre Musik
Materialien und Zeugnisse von Homer bis heute
Schwabe-Verlag, Basel/Berlin 2021. 485 S., Fr. 58.–
Reaktionen zu „Nachklänge“
Harald S. Liehr
„Nachklänge“: ein Opus magnificum!
Christian Fluri, Basler Programmzeitung
Conrad Steinmann erforscht die Klangwelten der griechischen Klassik. Wiederherstellen lassen sich Klänge, Melodien und Gesänge der Antike nicht mehr – verloren ist, wie sie damals gespielt, gesungen wurden. Eine Vorstellung davon zu entwickeln ist aber möglich. Der Blockflötist und Aulos-Spieler Conrad Steinmann, emeritierter Professor an der Schola Cantorum Basiliensis, nähert sich lange schon mit Leidenschaft und akribischer Forschungsarbeit der griechischen Klassik an – gemeinsam mit Instrumentenbauer Paul J. Reichlin. Mit seinem Ensemble Melpomen hat Steinmann die längst vergangenen Klangwelten in exzellenten Nachschöpfungen neu zum Leben erweckt. Seine Forschungsarbeit präsentiert er nun im Buch «Nachklänge». Umfassend und in klarer, genauer Sprache nimmt er uns mit auf die Reise in die altgriechischen Kunstwelten.
Das Buch rezipiert antike theoretische Schriften über Musik – von Pythagoras, Platon und anderen Philosophen und Denkern – genauso wie literarische Zeugnisse über die Bedeutung von Musik an Festen und bei kultischen Handlungen. Zudem arbeitet Steinmann die Rezeptionsgeschichte bis heute auf. Wichtig ist ihm stets die Verknüpfung von Theorie und musikalischer Praxis – eine Beziehung, die der geniale Musiker und Forscher schon immer gelebt hat. Zentral ist die Erkundung altgriechischer Instrumente, ihre Bauart, Entwicklung und Bedeutung – so des Aulos (Doppelflöte), der Saiteninstrumente Barbitos/Lyra und Kithara/Phorminx sowie der Perkussionsinstrumente. Sie sind ein Schlüssel für die Nachschöpfung altgriechischer Musik, da sie Spielmöglichkeiten und Klangcharakter bestimmen. Aufgrund von Abbildungen vor allem auf Vasen und originalen Fundstücken in verschiedenen Museen baute Reichlin in kunstvoller Arbeit die Instrumente nach. Grosse Geduld erforderte die Beschaffung der richtigen Materialien, wie Steinmann lebhaft erzählt. Das hervorragende Buch öffnet uns die faszinierenden Klangwelten der griechischen Klassik.
Heinz Holliger, Komponist, Dirigent, Oboist:
„In Deinem so eindrücklichen Buch gibt es so unendlich viel zu lernen und zu merken, dass wir alle, ausser Dir, nur mit Halbwissen vollgestopft sind“.
Roland Moser, Komponist:
Immer wieder Dein Buch…. So viel Einfühlung und so viel Wissenschaft! Wer riskiert so etwas ausser Dir?
Danielle Wieland-Leibundgut, Archäologin:
Dein wunderbares Buch «Nachklänge» zu entdecken, in die Welt der klassisch-antiken Musik und in Deinen ungeheuer breiten Wissens- und Erfahrungsschatz einzutauchen. Mit Deiner lebendigen und sorgfältigen Sprache packst Du uns Leser und lässt uns an der Neugier und der Leidenschaft des Nachforschens teilhaben.
Jakob Ullmann, Komponist und Musikwissenschaftler:
Was mich besonders freut, ist die tatsache, dass es Dir so unaufgeregt und gänzlich ohne aufmerksamkeitshascherei gelingt, die praktischen fragen des instrumentenbaus und der herstellung der voraussetzungen der musik in das buch zu integrieren. Damit wird auf sehr schöne weise jenes manko vermieden, das ja nur allzuoft bei der sprachlichen betrachtung von musik — vor allem wenn es um “theorie” geht (ich weiss, wovon ich spreche) — auftritt: da wird aus einer lebendigen praxis so lange blut und leben herausgepresst, bis am ende wirklich nur noch papier und druckerschwärze von der musik übrig bleiben.
Natürlich denke ich da besonders an die wirklich plastischen schilderungen gegen ende des buches, wo es unter Hesiods titel fast in tagebuchform um probleme bei der beschaffung der ausgangsmaterialien und ihre verarbeitung geht. Das ist eben nicht nur anekdotisch (etwas davon darf ja gern sein), sondern lässt den leser einen tiefen blick in die herausforderungen tun, die es mit sich bringt, wenn man eine so entfernte musik wieder verlebendigen will.
Adrienne Lezzi, Archäologin und Herausgeberin (Akanthus-Verlag):
Du bist von nun an die Kapazität auf diesem Gebiet!
jakob ullmann, komponist, musikwissenschafter und autor, in: : www.Faust-Kultur vom 22. April 21. faustkultur.de
Es ist vermutlich kein Zufall, dass ein Musiker, der in seinem Arbeitsleben in besonderer Weise als Lehrer wie als ausübender Musiker mit sog. „alter Musik“ und der „historisch informierten Musikpraxis“ bei ihrer Ausführung konfrontiert war, schon am Anfang seines Buches – sozusagen en passant – ein grobes Missverständnis zurechtrücken kann, das die Erforschung dieser Werkzeuge, der Musikinstrumente begleitet. Im das ganze Buch Conrad Steinmanns bestimmenden ebenso freundlichen und wie unaufgeregten Stil macht der Autor auf den Unterschied zwischen dem „technítes“ und dem „banaúsos“ in der griechischen Musikkultur aufmerksam. Während Ersterer das Instrument spielt, ist Letzterer der Handwerker, der das Instrument baut. Vielleicht wird schon (und gerade) hier deutlich, mit welchen Widerständen ein Forscher zu rechnen hat, der die Instrumente und ihren Bau ebenso in den Fokus des seines Interesses rückt wie ihren Gebrauch, wenn für das weithin herrschende akademische Klima der „banaúsos“ als Instrumentenbauer längst zum Banausen geworden ist.
Auf solche Einsichten, auf solche Veränderungen des Blickes und auch das Infragestellen scheinbar festgefügter Normen akademischer Arbeit muss sich einstellen, wer sich mit Conrad Steinmann auf „Nachklänge“ der einer Kultur einlassen will, zu deren Hauptmerkmalen gehört, dass die Trennung in Kunst des Wortes und Kunst der Klangpraxis für sie – trotz rein instrumentaler Stücke – nicht existierte. Schon in der Archäologie hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Erkenntnis durchgesetzt, dass neben der Entdeckung und Konservierung von Artefakten der Vergangenheit auch (manchmal vor allem) Formen des experimentellen Umgangs und der praktischen Erprobung von Replikaten solcher Artefakte neue Erkenntnisse ermöglichen. In der Musik muss man sogar eine Schritt weitergehen: während ein mittelalterliches Katapult ein Katapult ist, das man auf seinen (eindeutig festgelegten) Zweck hin praktisch erproben kann, setzt eine solche Erprobung von Musikinstrumenten und ihren Nachbauten die Bereitschaft voraus, auch Formen experimentellen Musizierens, d.h. der Improvisation als gleichberechtigter Form wissenschaftlicher Erforschung einer uns fremd gewordenen Kultur anzuerkennen. Mit derart geöffneten Augen und Ohren begibt sich Conrad Steinmann im langen ersten Teil des Buches – er nimmt fast die Hälfte des gesamten Werkes ein – auf eine Reise von den fassbaren Anfängen der griechisch-antiken Musik bei Pythagoras bis zu den Forschern auf diesem Gebiet in der Gegenwart. Dieser Teil des Buches macht immer wieder deutlich, wie stark – gleichsam aus dem Hintergrund – antike Musik das sog. abendländische Musikdenken herausgefordert und beeinflusst hat.
Auch wenn man wenig Wissen darüber hatte, wie diese Musik tatsächlich beschaffen war und klang, ihrem „Geheimnis“ auf die Spur zu kommen, hat die europäische Musik zu mancher Entdeckung und Entwicklung geführt, die ohne dieses Interesse kaum möglich gewesen wäre. Gerade auch für Leser, die sich mit recht für kompetent in der Geschichte der europäischen Musik halten dürfen, hält dieser Teil spannende Erkenntnisse und Einsichten bereit, die umso stärker nachwirken, als der Autor sie in den Fluss seiner kundigen Erzählung einbettet. Ob es sich um den in einer kurzen Bemerkung versteckten beträchtlichen Wechsel in der Beurteilung von Platons be- und häufig verurteilender, um nicht zu sagen richtender Sicht auf die Musik geht, die der Autor zu Recht in Platons Anliegen der „Paideia“ einordnet, ob der Autor deutlich macht, dass hinsichtlich er Epocheneinteilung europäischer Kunst man sich bei der Musik zwischen „inhaltlicher“ Renaissance“ und einer (auf ganz und gar nicht „antiken“ Wiedererweckungen beruhenden) Einfügung der Musik in die Kunstepoche der Renaissance – der Spiegel antiker Musik lässt Zusammenhänge und Urteile im besten Sinne frag-würdig (der Frage wert) werden, an die wir uns nur allzu gern gewöhnt haben.
Dass die Erzählung Conrad Steinmanns auch Autoren mit freundlicher Aufmerksamkeit würdigt, die mit mehr oder weniger Grund kaum zu den verlässlichen Zeugen ferner und fremder Kulturen gerechnet werden können, zählt ebenso zu den Stärken des Buches wie der Nachweis, wie häufig und intensiv sich die Erforschung antiker Musik lange vor der Rehabilitierung experimenteller Verfahren auch in den historischen Wissenschaften sich Forscher (wie z.B. der Belgier August Gevaert) mit der Untersuchung der Werkzeuge antiker Musik auseinandergesetzt haben.
Dies ist für die Lektüre der weiteren Teile des Buches durchaus von besonderer Bedeutung, denn der Leser könnte allzu rasch dem Fehlschluss erliegen, die folgenden Kapitel bis zu den ebenso erhellenden wie anekdotischen Schilderungen der Umstände und Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion altgriechischer Instrumente einfach zu überschlagen. Er würde sich damit nicht nur einer unschätzbaren Fülle an interessantem Wissen berauben, er könnte auch die klangliche Erprobung der Instrumente nicht wirklich verstehen. Die „Improvisationen“, die Conrad Steinmann neben der Umsetzung der raren Zeugnisse antiker Musik mit seinem Ensemble „Melpomen“ sowohl auf cd wie bei Konzerten vorstellt, sind die Frucht präziser und bis ins Détail kontrollierter Arbeit an den Fundstücken und ihrer Replikate. Jeder, der auch nur ein wenig vom Aufbau und der Funktionsweise von Instrumenten versteht, wird wissen, dass Fragen wie die nach Tonumfang und Stimmung, Klangfarbe und spieltechnischen Möglichkeiten in einem Masse von der Beschaffenheit der Instrumente abhängen, die einen im wahrsten Sinne „spielerischen“ Umgang mit den Instrumenten nur zulassen, wenn diese Fragen mit grösster Genauigkeit und Sorgfalt beantwortet wurden.
Je weiter man bei der Lektüre des Buches voranschreitet, desto drängender wird der Wunsch, der Aufforderung – die der Autor zwar implizit, aber eigentlich sein ganzes Buch hindurch – an den Leser richtet: nämlich zu Hören, auch nachzukommen. Wer nicht wie der Rezensent das Glück hatte, der altgriechischen Musik im Konzert zum Leben erweckt lauschen zu dürfen und auch keine cd des Ensembles sein eigen nennt, der hat hoffentlich eine gute sound-card und hochwertige Lautsprecher an seinem Computer, um die im Buch mit der entsprechenden Adresse im Internet abrufen zu können.
Man darf dem Verlag danken, dass er ein aufwendiges Buch so einladend gestaltet hat, auch wenn die zu erwartenden Verkaufszahlen sich (leider) in Grenzen halten werden, ebenso den Sponsoren, die die Arbeit Conrad Steinmanns über Jahre hinweg erst ermöglicht haben.
Man hofft, dass all die, die sich mit antiker Kultur beschäftigen und diese – z.b. im Theater – auch in die Gegenwart einzuschreiben versuchen, sich durch dieses Buch herausgefordert und angeleitet sehen, einmal nicht nur die antiken Texte und Bilder zu vergegenwärtigen, d.h. als Material zur eigenen Deutung der Gegenwart zu nutzen, sondern aus der Kenntnis nicht zuletzt der Fremdheit und der wirklichen Klang(um)gebung von antikem Wort und Bild auch zu neuen Einsichten in die Präsenz von Kultur gelangen.
Dies heisst – und dieser Aufforderung des Buches sollte jeder auch jenseits des Interesses an antiker griechischer Musik nachkommen! – HORCHT / AKOÚSATE!
Dr. Florian Leitmeir, Würzburg, in: Antike Welt
Mit dem Band «Nachklänge. Instrumente der griechischen Klassik und ihre Musik» legt Conrad Steinmann die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Musik der griechischen Antike vor. Seiner langjährigen Erfahrung eines professionellen Musikers im Bereich «Alte Musik» entsprechend eröffnet der Blockflötist dem Leser seine vielfältigen Zugänge zu den antiken Klangwerkzeugen der griechischen Klassik. Beinhaltet das erste Kapitel die Beschäftigung mit der griechischen Musik von der Antike bis hin zur modernen musikarchäologischen Forschung, so rücken in den folgenden die einzelnen Instrumente ins Rampenlicht. Besonders am Aulos, den Schildkrötenleiern (Chelys und Barbitos) und der Kithara vermag der Weg zu einer spielbaren Rekonstruktion anhand literarischer, ikonographischer und archäologischer Quellen nachvollzogen werden. Anregend sind dabei die Ausführungen zu den Rekonstruktionen in Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Paul J. Reichlin, die mit Klangbeispielen verlinkt sind. Der Band führt damit vor, wie die experimentelle Musikarchäologie ein wichtiger Baustein für das Verständnis eines verklungenen Forschungsgegenstandes sein kann.
Corinne Holtz, NZZ
Die sorgfältig edierte Publikation von Steinmanns Lehrbuch ist, einem Füllhorn gleich, reich an Details und vernetzten Erkenntnissen, wartet mit einem informativen Anhang und einem Link zu attraktiven Musikbeispielen auf.
Die Musik war damals eine Wesenseinheit und sie vereinte bis in die klassische Periode Klang und Rhythmus, Wörter, Gesang und Instrumentalspiel ebenso wie Bewegung. Wer ihr Wesen untersucht, nimmt die Augen zu Hilfe (autopsía), bemüht den Handwerker (bánausos) und lässt den Musiker aufspielen (technítes).
Als Einstieg in die versunkene Welt empfehlen sich die gewitzten Tagebucheinträge rund um die Materialbeschaffung zum Neu- und Nachbau antiker Instrumente. Hier ruhen die Hoffnungen etwa auf 41 zwischengelagerten Hirschbeinen im Tiefkühlfach eines Metzgers. Daraus könnte endlich ein Paestumer Aulos entstehen. Das bisher gesichtete Knochenmaterial von Rehen und Damhirschen war allerdings enttäuschend: zu krumm, zu kurz oder die innere Höhlung zu weit.
Mit dem Tamariskenholz aus Tunesien für die pharaonische Leier steht es nicht viel besser. Nach Telefongesprächen, zwei Postkarten und der Investition von 100 Euro kommt Bewegung in die Sache. Die Fahrt von Sparta nach Olympia durch das gebirgige Arkadien führt auf einem Seitenpfad überraschend zur gesuchten Baumart. Die strauchartigen Kermeseichen überziehen ganze Hügelkuppen und eignen sich laut Theophrast ganz besonders zum Drechseln von Querjochen der Saiteninstrumente Barbitos und Lyra. Da die Auswahl breit ist (und ein eventueller Besitzer fern), lässt sich in aller Ruhe ein geeignetes Stämmchen umlegen und einpacken – aber bitte nicht, ohne vorher alle Zweige mit den scharf stechenden Blättern entfernt zu haben.
Eindrücklich auch die Schilderung Steinmanns der Begegnung mit einem Arghoul-Spieler in Kairo. «Wir wurden 2002 Zeugen einer vermutlich ununterbrochenen Instrumenten- und Spieltradition von mindestens 3000 Jahren», schreibt der Autor. Die Zeit wirkte wie weggeschmolzen, alles schien Gegenwart, als der Musiker in Kairo auf einem neu gekauften Arghoul nahezu gleich klang wie Steinmann auf einem Aulos-Nachbau Reichlins aus der Zeit des Tutankhamun.